Aggressionsverhalten
... was nun?

Es ist passiert: der Hund sprang in die Leine, knurrte Nachbar's Hund an; man wollte dem Hund die Futterschüssel wegnehmen und der Hund schnappte nach einem. Im schlimmsten Fall wurde gebissen. Der Mensch ist verägert, erschreckt. Der Hund soll verstehen, dass er das nicht darf, muss bestraft werden. So der Gedanke der oft aufkommt. Doch was soll man tun?

1.
Situation entspannen. Lasst den Hund in Ruhe, regt euch woanders ab. Tut den Hund wohin, wo es keinen Rückfall geben kann. Gebt dem Hund was zum kauen, denn kauen entspannt den Hund. Wenn ihr vorher schon wisst, was eurem Hund gut tut, was den Hund entspannt: super! Nutzt das Wissen um den Hund runter zu fahren. Management, also verhindern dass das Verhalten nochmals auftaucht, ist hier wichtig.

Macht euch keine Sorgen, dass man den Hund verstärken könnte wenn man ihm was zum kauen gibt, anstatt den Hund weich zu prügeln. Es geht zuerst darum, die Situation zu befrieden. Dann geht es darum, dass es nicht nochmal passiert. So kann sich das dann auch nicht einschleifen und zur Gewohnheit werden. (und selbst wenn theoretisch der Hund verstärkt werden sollte damit: ihr habt den Verstärker. Also könntet ihr dann die Bedingungen ändern, für welches Verhalten er den Verstärker bekommt.)

2.
Denkt die Situation nochmals durch: Was ist wann wo passiert? Schreibt euch das auf, macht euch Notizen und orientiert euch an folgender Form:

Situation Verhalten Reaktion
Auslöser
+
-

Wie war die Situation in der das Verhalten auftratt? Was macht, dass das Verhalten stärker wird? Was macht, dass das Verhalten weniger stark wird?

Beispiel:

Situation Verhalten Reaktion
Auslöser Der Besitzer gibt dem Hund eine Schüssel mit Essen und nimmt die Schüssel weg. Der Hund knurrt, zeigt die Zähne, legt die Ohren nach hinten, schnappt nach dem Menschen Der Mensch geht auf Abstand, der Hund darf das Essen behalten.
+ Wenn der Hund hungrig ist, wenn er besonders gutes Essen bekommt.
- Wenn er das Essen nicht mag, wenn er kaum Hunger hat.

3.
Mit diesem Wissen geht ihr nun hin und überlegt, wie ihr die Situation so verändern könnt, dass es nicht wieder zur Eskalation kommt und wie ihr mit dem Hund arbeiten könnt. So könnt ihr mit dem Hund arbeiten, wenn er satt ist und am Anfang mit etwas, was der Hund nicht besonders mag, zB trockenes Brot und davon nur wenig.

Ihr gebt dem Hund zwei drei Stückchen an trockenem Brot in einer Schüssel. Wenn der Hund frisst, nehmt ihr etwas ganz leckeres wie Wurst, Tofu, Apfel, was der Hund eben sehr mag und stellt die Schüssel 30cm neben dem ab. Das wiederholt ihr. Wenn ihr nun dem Hund das trockene Brot gebt und dabei seid die zweite Schüssel mit Leckerem hinzustellen und der Hund von seiner Schüssel ablässt für das bessere Futter, sagt ihr ein Signal, zB 'away', und gebt dem Hund die Schüssel. Später sagt ihr das Signal und wartet bis der Hund auf Abstand geht und gebt das bessere Futter.

Die Idee dahinter isst, dass der Hund lernt, dass er für tolles Verhalten etwas besseres bekommt, dass er etwas bekommt und ihm nichts weggenommen wird, und ausserdem ist es ein inkompatibles Verhalten: der Hund kann nicht an der Futterschüssel sein und davon weg gehen um was besseres zu bekommen. Damit kann die neue Eskalation vermieden werden.

Mehr Ideen habe ich hier aufgeschrieben: zum-Artikel

Wichtig

1.
Der Hund zeigt nicht Aggressionsverhalten weil er dominant sein will oder ein Sadist ist. Aggressionsverhalten ist Teil des Sozialverhaltens das gezeigt wird wenn man sich schützen muss.

Dieses Verhalten hat neurobiologische Grundlagen und macht, dass der Hund sich bedroht fühlt in der Situation. Dieses Gefühl ist nicht dass er jemanden dominieren will, sondern dass er sich gerade bedrängt, bedroht fühlt. Daraus resultiert das Verhalten.

Besonders im Kontext von Frust: die Neurotransmitter im vorderen Gehirn die machen dass man etwas suchen geht (Dopamin), etwas will (Seeking), gehören zu denen, die mit Kampf-Flucht zu tun haben (Adrenalin und Noradrenalin). Die Fähigkeit mit Frust umzugehen muss daher sorgsam, Schritt für Schritt aufgebaut werden und kann nicht erzwungen werden über Zwang.

2.
Störungen die im sozialen Miteinander entstanden sind, können nur dort behoben werden. Wenn der Hund sich bedroht fühlt, zeigt das mangelndes Vertrauen. Wenn der Hund dem Menschen nicht vertraut, dass ihm, dem Hund, das Essen nicht geklaut wird, bleibt dem Hund nur, entweder nach vorne zu gehen, oder sich zu verabschieden in seine Welt und in eine Hilflosigkeit zu verfallen.

Will man das Vertrauen des Hundes gewinnen und ihm verständlich machen, dass ihm nichts passiert, sollte nichts passieren. Klingt simpel, verstehen aber nicht alle. Wenn ich einem Menschen klar machen will, dass er mir vertrauen kann, sollte ich sein Vertrauen nicht verletzen. So ist es auch beim Hund.

Bedeutet: macht kein Geschiss ums Essen. Richtet den Essplatz so ein, dass der Hund seine Ruhe hat und niemand dort hin muss oder kann. Gebt dem Hund das Essen. Nennt den Namen des Hundes und ein Signal das zeigt dass es seines ist. So werdet ihr schnell Erfolg haben: Der Hund versteht, er ist gemeint und er kann es haben und auch behalten. Das ist wichtig.

3.
Was du nicht willst was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Wenn du nicht willst, dass man deinen Teller weg nimmt und auch nicht willst, dass man dir dein Essen mit den Händen in den Mund stopfst, damit du lernst es zu tolerieren dass du auf die Gnade anderer angewiesen bist um was zu essen, dann tu es deinem Hund nicht.

Jedes Lebewesen hat Grundbedürfnisse, die sollten geachtet werden.

Beispiel:

Situation Verhalten Reaktion
Auslöser Der Hund an der Leine sieht Nachbar's Hund in 2 Meter Entfernung. Der Hund knurrt, zeigt die Zähne, legt die Ohren nach vorne Der Mensch geht auf Abstand, schimpft den Hund, reisst an der Leine
+ Wenn der Abstand nahe ist, weniger als 3 Meter, wenn Nachbar's Hund zurück bellt, wenn der Hund aufgeregt ist, oder überrascht.
- Wenn er entspannt ist, nicht überrascht wird, und genug Abstand hat.

3.
Mit diesem Wissen geht ihr nun hin und überlegt, wie ihr die Situation so verändern könnt, dass es nicht wieder zur Eskalation kommt und wie ihr mit dem Hund arbeiten könnt. Plant Abstand ein, geht an übersichtlichen Stellen lang. Wenn ihr Nachbar's Hund seht, sagt 'da ist Nachbars Hund', mit der Zeit wird der Hund die Verbindung machen und vorbereitet sein. Gebt dem Hund was zu zerreisen 20 min bevor ihr losgeht, so ist der Hund ewas ruhiger.

Arbeitet alternatives Verhalten auf. Verstärkt den Hund, wenn er ruhig bleibt mit Abstand. Verstärkt es, wenn der Hund wo pinkeln geht, oder buddeln. Mit der Zeit könnt ihr den Abstand verringern. Stellt euch zwischen eurem Hund und Nachbars Hund, so dass ein gefühlter Sichtschutz dazwischen ist.

Mehr Ideen habe ich hier aufgeschrieben: zum-Artikel

Wichtig

4.
Sucht nicht die Konfrontation. Zum einen kann sich das Verhalten verstärken, zum anderen habt ihr noch nichts aufgebaut und lauft daher Gefahr, dass ihr unter Anwendung von Gewalt den Hund aus dem Verhalten bringen müsst. Zusätzlich bringt ihr andere in Gefahr mit dem Aggressionsverhalten eures Hund. Dazu kommt, dass es für den Hund jedes mal Stress bedeutet, der sich erst über 24 Stunden langsam abbaut: Die Hormone sind im Körper noch lange unterwegs, während der Hund im Verhalten keine Azeichen mehr von Aggressionsverhalten zeigt. Der Hund steigert sich dadurch noch schneller in ein neues Verhalten wenn der Auslöser anwesend ist, zudem führt das über längere Zeit zu gesundheitlichen und psychischen Problemen, da der Hund nicht mehr aus dem Stress kommt.

5.
Ihr habt mit eurem Hund einen Vertrag. In dem Moment, wo eurer Hund anfängt mit euch vertraut zu werden, habt ihr einen Vertrag mit eurem Hund, dieses Vertrauen nicht zu zerstören. Hunde haben keine schriftlichen Verträge, sie machen es mit ihrem Verhalten. Haltet euch an diesen Vertrag. Wenn ihr euch den Hund vertraut macht, ihn bei euch leben lässt, dann solltet ihr euren Teil der Abmachung auch einhalten.

6.
Ihr holt euch euren Hund ins Haus. Nicht umgekehrt. Das erfordert von Euch, auf den Hund Rücksicht zu nehmen. Den Hund in euer Haus zu holen und zu erwarten, er solle sich dann auch noch überall total anpassen, ist eine Frechheit. Der Hund hat nicht einfach so die Möglichkeit, sich ein anderes Daheim auszusuchen, dessen Regeln er besser mag, mit denen er besser lar kommt. Haut der Hund ab, wird er gesucht, eingefangen und wieder zu den Besitzern verschleppt. Wie ein Sklave. Das ist Unrecht und übergriffig. Hunde brauchen Menschen, sie leben mit diesen seit Tausenden Jahren zusammen. Wenn euer Hund nicht die Möglichkeit hat, sich einen anderen Platz auszusuchen, dann passt euch gefälligst eurem Hund an, oder sucht euch von Anfang an einen aus, zu dem Ihr auch passt.

7.
Es gibt zwei Grundtypen von Aggression, die neurobiologisch bedingt sind und die ihr unterscheiden solltet, wenn ihr nicht scheitern wollt mit dem Training. Das eine sind Reflexe, das andere sind Verhaltensweisen.

Wenn ihr dem Hund in die Schüssel greift während er frisst, oder dem Hund im Gesicht rumfummelt wenn er schläft, kann es passieren dass er erschrickt und refelxartig zubeisst. Daran kann man nicht trainieren. Es sind Schutzreflexe. Euren Kniesehnenreflex oder Liedschlussreflex könnt ihr euch auch nicht abgewöhnen.

Das andere sind Verhaltensweisen. Der Hund hat angeborenerweise Aggressionsverhalten, wie jedes soziale Lebewesen, und dieses verstärkt sich, oder schwächt sich ab, je nach Lernerfahrung. Daran könnt ihr arbeiten. Der wichtigste Ansatz ist: Motivation ändern. Ändert man nicht die Motivation des Hundes, sondern unterdrückt nur das Verhalten, kocht und brodelt es im Hund weiter. Bis es knallt. Deswegen: ändert die Motivation.

Zum Schluss

1.
Es gibt Signale, Ausdrucksweisen, die die innere Gestimmtheit erkennen lassen die in einem Tier passieren. Die Referenzsignale. Die innere Gestimmtheit zeigt sich an der Oberfläche. Man kann diese lesen.

2.
Es gibt seit Jahrzehnten bewährte Wege, mit Tieren zu arbeiten, ohne diese in Angst und Schrecken zu versetzen, Aggressionsverhalten zu provozieren. Es geht.

3.
Nutzt diese Wege, baut Vertrauen auf und nehmt es ernst, wenn ihr seht, dass das Tier mit dem ihr zusammen lebt Angst, oder Aggression zeigt, und baut Vertrauen auf, ermöglicht dem Tier, neue, angenehme, erfreuliche Beziehungserfahrungen zu machen.

4.
Euer Hund ist nicht eine einzige Problemzone. Wenn ihr beständig an den Dingen arbeitet, die mies laufen, gebt ihr dem Hund das Gefühl, dass nichts gut läuft, zwingt den Hund, beständig an den Schwächen zu arbeiten, ohne seine Stärken ausleben zu können.

Deswegen:
Positives Umfeld schaffen

Stärken fördern und ausbauen

Gute Grundstimmung im Hund aufbauen

Gelassenheit fördern

Umwelterfahrung sammeln lassen

Vertrauen aufbauen

Soziale Erfahrung machen lassen

Damit könnt ihr den Hund entspannen, den negativen Stress lösen, den Hund in eine gute Grundstimmung bringen, und gutes Verhalten mit dem Hund erarbeiten. Das alles hilft euch auch bei den Problemzonen, die es noch zu bearbeiten gibt. Und es baut Widerstandsfähigkeit im Hund auf, die in schlechten Zeiten nützlich sind: denn es stärkt das psychische Immunsystem.

Ihr lernt ja schliesslich auch nicht besonders gut mit schlechter Laune, und wenn er wisst, dass ihr so oder so eine schlechte Note bekommen werdet.

Noch mehr Ideen findet ihr hier mehr-lesen

Beispiel:

Situation Verhalten Reaktion
Auslöser Der Labrador (grüner Star und daher fast blind) hört einen anderen Hund. Die Haare am Rücken gehen hoch, er bellt und knurrt - vorallem bellen. Wir bleiben stehen und wenn er sich beruhigt, geht es weiter und er kann die Spuren des Hundes lesen. Oder er setzt sich hin und bekommt einen Keks.
+ Wenn der Abstand zu niedrig ist, wenn er überrascht wird, wenn er angebellt wird.
- Wenn er satt ist, gebadet hat,geschlafen hat, wenn er was tragen kann.

Deswegen hat mein Labrador einen Badeteich im Garten, kann im Garten in der Sonne schlafen, hat Dinge zum herumtragen. So wird das Wohlbefinden gesteigert und er kommt nicht gestresst ins Training. Wenn er was zum tragen hat, regt er sich nicht so sehr auf, also kann er was im Mund haben, wenn er andere Hunde bemerkt. So kommt es, dass er gar nicht erst bellt, weil ihn das Ding zum tragen entspannt. Ausserdem hilft es ihm, Körperkontakt zum Menschen zu haben.