Kognitive Verzehrung bei Hund und Mensch

Warum scheint es, dass aversive Methoden, die über Strafe arbeiten, verbreiteter sind als die, die über Verstärkung und Förderung von erwünschten arbeiten? Eine Antwort, aber nicht die einzigste, könnte in der Evolution liegen.

Mein Eindruck bisher war, dass das Nutzen von Strafe und von Abschrecken und Unterdrücken, in der Hundeszene eher verbreitet ist als das Aufbauen von erwünschten Verhaltensweisen. Die lerntheoretische Antwort dafür könnte lauten: Weil es verstärkt wird. Bestraft ein Mensch einen Hund, dann erreicht er oft das, was er will. Doch diese Antwort lässt mir zwei Probleme offen: Warum reagiert der Mensch nicht auch auf erwünschte Verhaltensweisen, die doch in ihm eine Freude oder Erquickung hervorrufen sollten; und warum wird nicht öfters Verhalten dem Hund gegenüber gezeigt, das dieses erwünschte Verhalten wahrscheinlicher macht, wenn doch dieses Verhalten vom Besitzer auch verstärkt wird, indem der Hund sich erwünscht verhält.

In Zeiten von Säbelzahntigern und Mamuten könnte es vorteilhafter gewesen sein, seine (geringen) kognitiven Kapazitäten dem zu widmen, was potentiell gefährlich sein könnte. Es ist ein ähnliches Szenario wie das zwischen Beutetier und Raubtier: Der Selektionsdruck auf Verhalten vom Beutetier ist oft höher, denn ein schlecht angepasstes Verhalten das in Aufgegessen-werden endet, hat stärkere Konsequenzen - das Totsein - als wenn dem Raubtier eine Mahlzeit entgeht, die später nachgeholt werden kann. Und so wäre ein sich auf eine schöne Blume 🍗 konzentrieter Mensch eher platt und kann weniger seine Gene weiter geben, als ein mürrischer Mensch der hinter jeder Ecke das Böse vermutet. Der Selektionsdruck auf vorsichtiges, misstrauisches Verhalten ist höher als auf freundliches, positiv eingestelltes. So auch der Grundtenor in einem Artikel von Linda Case.

Doch auch hier bleiben Fragen offen: Gibt es keinen Selektionsdruck auf das Zusammenleben? Und wenn ja, wie wirkt sich dieser auf das Sozialverhalten aus? Denn wie soll man mit vorwiegend mürrischen, negativ denkenden Menschen, die kaum das Schöne im Leben sehen, zusammenleben? Es kann doch gut sein, dass dieser soziale Selektionsdruck dem Vorsichtigsein und Mürrischsein entgegen wirkt, und sich daher ein Gleichgewicht einstellt, zwischen diesen beiden Polen.

Diese grundsätzlichen Gedanken sind an sich nicht neu. So wird bereits bei Hilgards Einführung in die Psychologie vor 10 Jahren erwähnt, dass das Phänomen Lernen aus drei Blickwinkeln zu betrachten sei - der biologischen, der kognitiven, der behavioralen - und dass es bestimmte Sachen gibt, 🌭 die leichter gelernt werden als andere; so wird Angst und Schrecken schneller gelernt und vorallem mit visuellen und akutischen Reizen gut verknüpft, wohingegen Ekel und Übelkeit sehr gut mit Geruch und Geschmackt verbunden wird. Diese Erkenntnis findet sich auch in den Büchern zu Lerntheorie und Verhalten. Und bereits in der Tiefenpsychologie, vor vielen Jahrezehnten schon, war das Phänomen der Übertragung bekannt: bereits gemachte Beziehungserfahrungen werden auf andere Situationen übertragen, angewendet. Diese tiefenpsychologische Sicht meint zwar keine genetische-evolutionäre Antwort, aber man kann leicht durch Erweiterung darauf kommen: Die in der Vergangenheit 🌯 gemachten Verhaltensstrategien wirkten sich auf das Individuum, seinem Überleben und seine Gene aus, sei es indirekt über Epigenetik, oder direkt durch genetischen Drift. Die heutigen Lernerfahrungen und Verhaltensstrategien sind die evolutionäre Vergangenheit von morgen.

Gibt es denn Hoffnung darauf, dass sich 🍕 was ändert? Wie man es nimmt: jeder Mensch kann sein Verhalten ändern, im Rahmen dessen was die Genexpression zulässt, und das dürfte auf Erziehungstechnik mit Verstärken durchaus zutreffen, dass das geht. Auf der anderen Seite erkennt Sigmund Freud schon an, dass es einen psychischen Leidensdruck gibt, damit Menschen bereit sind, sich in Psychotherapie zu begeben. Gemünzt auf diese Fragestellung hier, müssen Menschen erstmal genügend unter ihrer Situation leiden, damit sie was ändern. Vlt keine tröstliche Anthropologie, aber vlt eine realistische.

Diese Überlegungen von oben sind daher trist, da Hunde ähnlich gestrickt zu sein scheinen. Negative Erfahrungen lenkt schneller ihre Aufmerksamkeit um. Wenn nun der Mensch, mit dem Hund zusammenlebt, auch so gestrickt ist, dann ergibt sich schnell eine Spirale nach unten: der Mensch motzt den Hund oft an, der Hund kommt in eine negative Grundstimmung hinein, der Frust steigt, mögliche erwünschte Verhaltensweisen bleiben 🍌 unbekannt oder werden nur durch Zufall entdeckt, da Besitzer keinen Bock hat was zu erklären, Hund zeigt mehr unerwünschtes Verhalten oder zieht sich zurück und wird apathisch, das wirkt sich auf das Verhalten des Besitzers aus. Am Ende leben zwei Sauerbraten nebeneinander und keiner scheint wirklich zufrieden zu sein.